Das Vitamin D ist in der Medizin wie die Dreierkette im Fußball. Oder wie der Bart des Breitner Paul.

Fragst du mehrere Ärzte, sagt dir ein jeder etwas anderes. Das ist im Allgemeinen schon bekannt und im Speziellen sowieso. So uneinheitlich wie beim Vitamin D ist die Meinung der Mediziner aber selten. Vielleicht noch bei der Frage, ob ein Kreuzbandriss nun operiert gehört oder nicht. Ob man Vitamin D substituiert oder nicht, hängt nicht nur vom Vitamin-D-Spiegel ab, sondern vor allem vom Arzt. Glaubt dieser an die aktuell empfohlenen Grenzwerte, wird er im Fall eines Mangels Vitamin D in Form von Tropfen oder Kapseln verordnen. Glaubt er nicht daran, wird er erklären: „Das mit dem Vitamin D ist wie mit dem Spinat, ein Kommafehler in der wissenschaftlichen Untersuchung.“

Wer schon etwas älter ist oder Geschichte gelernt hat, weiß: Es gibt immer wieder neue Trends, und so manche wiederholen sich. Wie der Vollbart. Der Breitner Paul, keine Frage, extrem lässig damit. Der Burgstaller Guido, na ja. Kaum ein hipper junger Mann, der sich nicht den Flaum stehen lässt, manch einem passt das auch noch. Auch in der Medizin gibt es Trends, die sich im Lauf der Zeit entweder als Fehleinschätzung oder als schon da gewesen herausstellen. Cholesterin unter 200 hieß es lange, heute ist das fast egal. Hauptsache das LDL – kurz für: böser Blutfetteunterwert – ist niedrig. Ähnlich verhält es sich mit dem Body-Mass-Index, der interessiert kaum mehr jemanden, das Bauchfett muss gering sein. Der Blutdruck soll einmal höher einmal niedriger sein – je nach momentaner Studien und Marketingtalent der dazugehörigen Mediziner.
Im Fußball ist es ähnlich. Die Union Schwand hat immer schon auf eine Viererkette verzichtet und spielt seit Vereinsgründung 1974 mit drei Verteidigern. Gegen Moldawien wurde uns vom ÖFB das Schwandner System als Neuerung vorgestellt. Vielleicht wird uns in den nächsten Jahren der Libero als Innovation verkauft werden. Aber zurück zur Medizin: Das Vitamin D ist aktuell die Dreierabwehr – oder auch der Vollbart – der Medizin. Kein moderner Arzt, der nicht den Vitamin-D-Spiegel bestimmt.

Freunde des Trends
Jeder weiß, dass Vitamin D gesund ist. Es wird unter der Einwirkung von Sonnenlicht in der Haut gebildet und in der Leber und Niere aktiviert. Es ist gut für die Knochen. Man gibt es Babys, damit sie keine Rachitis bekommen, und Omas, damit die Osteoporose nicht voranschreitet. Bestimmt schadet es auch dem Immunsystem und der Stimmung nicht, ob es da viel hilft, ist zweifelhaft. In welcher Höhe es im Blut vorhanden sein soll, darum streiten sich die Mediziner.
Die einen empfehlen Grenzwerte, bei denen nahezu die gesamte Bevölkerung an Vitamin-D-Mangel leidet. Die anderen meinen, alles sei halb so wild. Wer Fisch und Pilze isst, tut seinem Vitamin-D-Haushalt etwas Gutes. Für carnivore Nachtmenschen gibt es Tropfen und Kapseln. Es gilt wie immer, auf eine gesunde und vielseitige Ernährung hinzuweisen. Und wer sich jetzt schon den Bart abrasiert, ist trendmäßig bald vorne dabei. All jene, die von Anfang an und weiterhin an die Dreierkette glauben, sollen ihren Bart ruhig stehen lassen und reichlich Vitamin-D-Tropfen in ihren Smoothie schütten.

Dieser Artikel ist im Fußballmagazin ballesterer erschienen.