Der Mensch braucht eine Identität. Manche sehen sich als Dancing Star, andere als Bundeskanzler, und viele Fußballer sehen sich als Fußballer. Eine ausgeprägte sportliche Identität hat nicht immer ausschließlich Vorteile.
Identität kann man schwer erklären. Es gibt hunderte Definitionen, und jeder Mensch hat wohl auch noch seine ganz private Erklärung des Begriffs. Vereinfacht gesagt geht es um das Bewusstsein, ein unverwechselbares Individuum zu sein und eine eigene Geschichte zu haben. Darum, gewissermaßen konsequent zu handeln und um das Gleichgewicht zwischen sozialen Erwartungen und eigenen Ansprüchen.
Wer bin ich?
Als Psychiater erkundigt man sich nach der Identität eines Menschen, indem man fragt: „Wer sind sie?“, „Beschreiben Sie sich selbst.“, „Was macht Sie aus?“ Bei manchen Menschen ergibt sich daraus ein buntes Bild an Interessen, Stärken, Beziehungen und Einstellungen. Anderen fällt auf diese Fragen nicht viel ein. Sportler mit einer hohen sportlichen Identität berichten einem, dass sie sich als Sportler sehen und Sport der wichtigste Teil ihres Lebens sei. Ihre Stimmung hänge von der sportlichen Leistung ab. Das Leben drehe sich auch gedanklich um den Sport, und die meisten sozialen Kontakte hätten irgendetwas mit der Sportausübung zu tun. Eine hohe sportliche Identität hat Vorteile. Diese Menschen haben Sicherheit in sich selbst, sie sind meist selbstdiszipliniert, wirken selbstbewusst in sozialen Kontakten und sind engagiert im Training.
Wer sich vornehmlich als Sportler sieht, kommt jedoch nur schwer auf die Idee, einen Plan B für sein Leben zu entwickeln. Selten stellen professionelle Sportler Überlegungen an, wie die Zeit nach der Karriere beruflich aussehen könnte. Das kann zu einem unliebsamen Erwachen in der Sportlerpension führen. Denn eines steht fest: Jeder Sportler muss irgendwann seine Karriere beenden. Bei Fußballern ist es häufig mit Mitte 30, bei Bodenturnerinnen zwischen dem 16. bis 20. Lebensjahr, und Turnierreiter können bis zum 60. Lebensjahr ihren Sport ausüben.
Pensionsängste
Je stärker die sportliche Identität ausgeprägt ist, umso schwerer fällt es den Athleten, in die Sportlerpension zu gehen und umso häufiger entwickeln sich dann im Ruhestand Depressionen und Angsterkrankungen. Das Maß der Sportleridentität hängt auch mit der Wahrscheinlichkeit zusammen, nach einer längeren Verletzung psychische Probleme zu entwickeln. Außerdem greifen jene Sportler mit einer ausgeprägten sportlichen Identität schneller zu leistungssteigernden Substanzen. Die höhere Bereitschaft zum Doping wurde im Rahmen einer Studie der Universität Leipzig an über 400 Elitenachwuchssportlern erforscht. Wenn für einen Menschen Sport alles im Leben ist, setzt er auch alles daran, Erfolg zu haben. Mit legalen und mitunter unlauteren Mitteln.
Entscheidend ist es, neben der sportlichen Identität auch andere identitätsstiftende Seiten zu entwickeln. Das beginnt am besten schon früh. Die Eltern können dabei helfen und dem Kind klarmachen, dass es nicht alles auf eine Karte setzen soll. Man kann ja immer noch Dancing Star oder Bundeskanzler werden.