Der Fußballplatz ist ein Ort des Aberglaubens. Seit jeher werden Utensilien wie Weihwasser und Statuen der Jungfrau Maria aufs Spielfeld mitgenommen. Hier erfahren Sie, welcher Sinn dahinterstecken könnte.
Der Löw Jogi war bei der Weltmeisterschaft 2010 nicht ohne seinen feschen blauen Kaschmirpullover anzutreffen – definitiv ein passendes Weihnachtsgeschenk für den modebewussten Herrn. Der Magath Felix trug als Bundesliga-Trainer einmal elf Spiele in Folge dieselbe Krawatte und der Domenech Raymond warf zunächst einen Blick in die Sterne, ehe er die Aufstellung der französischen Nationalmannschaft bekanntgab.
Die Berechenbarkeit des Unberechenbaren
Ein Fußballspiel mag spannend oder fad, hochklassig oder grottenschlecht, erfreulich oder traurig sein; eines ist ein Spiel aber sicher nicht: vorhersehbar. Der Aberglaube gibt einem die Illusion, Einfluss auf das Spiel nehmen zu können. Es ist schwer, völlig machtlos ein Spiel seiner Mannschaft verfolgen zu müssen. Der Aberglaube kann helfen, diese Hilflosigkeit auszuhalten. Durch abergläubische Rituale steigt das Gefühl der Beeinflussbarkeit von Dingen, die nicht beeinflussbar sind. Ein Rapid-Fan berichtete , dass er in dieser Saison jedes Auswärtsmatch in seiner „magischen Unterhose“ auf seiner „magischen Couch“ vor seinem Fernseher verfolge, um der Mannschaft so Glück zu bringen.
Es geht um die Berechenbarkeit des Unberechenbaren. Giovanni Trapattoni vertraut dafür auf Weihwasser. Dieses lässt sich der Italiener von seiner Schwester, einer katholischen Ordensfrau, zukommen und weiht damit regelmäßig das Spielfeld. Das mag lächerlich klingen, aber keiner ist frei von Aberglauben. Dieser hat sich längst in den Alltag und Sprachgebrauch integriert. Wenn wir jemandem die Daumen drücken, halten wir dabei Dämonen fest, die schlechten Einfluss ausüben könnten. Der Ausspruch „toi, toi, toi“ beruht auf einem Gegenzauber, um den Neid böser Geister abzuwenden.
Aberglaube hilft bei Kontrollverlust
Nicht einmal Mediziner, die als Naturwissenschaftler oft mit Objektivität überzeugen wollen, sind vor Aberglauben gefeit. Der promovierte Mediziner Billardo Carlos untersagte während des Trainingslagers der argentinischen Nationalmannschaft den Spielern den Verzehr von Geflügel. Er war der Überzeugung, dass dies Unglück bringe. Außerdem ging der Argentinier nie ohne eine kleine Statue der Heiligen Jungfrau Maria auf den Platz. Der Erfolg gab ihm scheinbar recht, Argentinien wurde unter seiner Führung 1986 Weltmeister und 1990 Vizeweltmeister.
Genau um diese einfachen linearen Zusammenhänge dreht sich abergläubisches Denken: „Trage ich diese Unterhose, gewinnt Rapid.“ Bei drohendem Kontrollverlust hilft der Aberglaube, die Welt verständlich und vorhersehbar erscheinen zu lassen. Vorhersagen lässt sich freilich auch nicht, ob einem das Christkind einen feinen Kaschmirpullover unter den Weihnachtsbaum legt. Ich wünsche es ihnen jedenfalls aus ganzem Herzen und drückt ihnen dafür ganz fest die Daumen.
(Dieser Artikel ist auch im Fußballmagazin ballesterer erschienen)