Wer in seiner Arbeit keine Herausforderung hat, ist nicht zu beneiden.
Langeweile, Desinteresse und Unterforderung im Job können krank machen.
Boreout nennt man dieses Phänomen, das sogar zu Depressionen führen kann.
Helmut Qualtinger war seiner Zeit wieder einmal voraus. Im Lied
„Weil ma so fad is“ klagte er über den Zustand der Langeweile,
noch ehe die Schweizer Unternehmensberater Philippe Rothlin und Peter Werder in ihrem Buch „Diagnose Boreout“ im Jahr 2007 den neuen
Begriff kreierten. Boreout leitet sich von den englischen Wörtern „to bore“ (sich langweilen) und „out“ (außen) ab. Rothlin und Werder konstruierten diese „Erkrankung“ auf der Grundlage zweier Studien:
2004 untersuchte das Gallup Institut über 1.800 Arbeitnehmer in Deutschland. Man fand heraus, dass 87 Prozent aller Beschäftigten sich nur gering oder gar nicht an ihr Unternehmen gebunden fühlten. Eine amerikanische Untersuchung unter 10.044 Arbeitnehmern belegte, dass 33,2 Prozent der Befragten angaben, sie hätten bei der Arbeit nicht genug zu tun und würden 2,09 Stunden ihres Acht-Stunden-Arbeitstages mit Internet surfen und anderen privaten Erledigungen verbringen. Frei nach dem Qualtinger-Motto: „Was kann denn i dafür,
dass i a so vü Zeit hab? I hab nix zan man! Was kann denn i dafür, dass i mit nix a Freud hab? Da kriagst an Zum.“ Qualtinger und sein kongenialer Partner Gerhard Bronner erkannten bereits in den 1960 Jahren, dass Langeweile und Unterforderung Freudlosigkeit und Aggressionen mitunter Depressionen verursachen können. Früher noch, nämlich im Jahr 1908, beschrieben Robert Yerkes und John D. Dodson im Yerkes-Dodson-Gesetz, dass der Mensch sowohl bei Unterforderung als auch bei Überforderung unter seinen Leistungsmöglichkeiten bleibt.
Wie viele Menschen wirklich ein Boreout haben, ist schwer zu sagen. Der Psychologe und Organisationsberater Dr. Wolfgang Beiglböck meint: „Das Boreout kommt selten, aber doch vor. Wirklich gute Zahlen gibt es dazu nicht.“ Jemanden, der in der Arbeit nicht arbeitet, von vornherein als faul zu bezeichnen, wäre jedoch
falsch. Arbeitnehmer, die an Boreout leiden, sind vielmehr faul gemacht worden oder schlichtweg unterfordert. Was zu Depressionen führen kann. Unterforderung kommt zustande, wenn die persönliche Kompetenz und Leistungsfähigkeit mit den Anforderungen der Arbeitsstelle nicht zusammenpassen. Betroffen seien etwa Menschen, deren Job abgeschafft wurde, aber deren Arbeitsplatz erhalten blieb, sagt Beiglböck. In diesem Fall spricht man von einer quantitativen Unterforderung, das heißt, es ist schlicht keine Arbeit vorhanden oder nur so viel, dass man in kurzer Zeit die Arbeit erledigt hat. „Nicht nur Leute, die nichts mehr zu tun haben, sondern vor allem Menschen, die qualitativ unterfordert sind, können ein Boreout bekommen“, sagt Beiglböck. Bei einer qualitativen Unterforderung könnte der Arbeiter mehr Verantwortung übernehmen bzw. höher qualifizierte Aufgaben erfüllen als ihm zugetragen werden. Dies betrifft oftmals Leute im Management, die bezüglich ihrer Aufstiegs-
möglichkeiten in ihrer Firma den Plafond erreicht haben und ausFolge der Langeweile in Depressionen schlittern. Menschen, die über viele Jahre den gleichen Job hervorragend erledigen, im Unternehmen jedoch keine Entwicklungsmöglichkeit oder wenig Selbstbestimmung haben und die Firma nicht wechseln wollen oder können. Nicht jeder der im Job unterfordert ist, muss ein Boreout und Depressionen bekommen. Wenn man es schafft, den Lebenssinn außerhalb des Arbeitsplatzes zu
finden, in der Freizeit, beim Hobby oder in der Familie genügend Anerkennung erhält, kann man auch mit einem eher langweiligen Job gut leben.
Die Ursachen für das Boreout sind demnach vielfältig. Betroffen vom Boreout sind vor allem Menschen, die am Schreibtisch arbeiten und dort Beschäftigung vortäuschen können. Wer im Dienstleistungsbereich tätig ist, hat es da schon schwerer. Ein Bodenleger kann beispielsweise nicht so tun, als ob er einen Boden verlegt hätte. Das Resultat ist dort unmittelbar messbar. Anders im Büro.
Wer kann erkennen, ob der Kollege private E-Mails schreibt, im Internet den nächsten Urlaub bucht oder an seinem Arbeitsprojekt
tätig ist?
Das Boreout-Paradoxon:
Mitarbeiter, die sich unterfordert fühlen und langweilen, sehen sich kurz oder lang gezwungen, Strategien zu entwickeln, dies zu vertuschen. Denn wer zu wenig arbeitet, fürchtet sich, seinen Job zu verlieren. Aus diesem Grund wird so getan, als wäre man beschäftigt. „Arbeitsschauspiel“ nannte dies Thomas Bernhard in seinem 1986 erschienen Werk „Auslöschung“:
„Der Großteil der Menschheit, vor allem
in Mitteleuropa, heuchelt Arbeit, schau-
spielert ununterbrochen Arbeit vor und
perfektioniert bis ins hohe Alter diese
geschauspielerte Arbeit, […] die Leute
schauspielern an allen Ecken und Enden
Arbeit, schauspielern Tätigkeit, wo sie in
Wirklichkeit nichts als faulenzen und gar
nichts tun.“
Im Buch „Diagnose Boreout“ bezeichnen Rothlin und Werder den Erhalt des Nichtstuns als Boreout-Paradox. Ausgangspunkt dafür sei ein Irrtum, nämlich die Vorstellung, es sei schön bei der Arbeit nichts zu tun und genügend Zeit für private Angelegenheiten zu haben. Das mag für kurze Phasen stimmen und kann unter den Aspekten Regeneration und „kreative Pause“ motivierend sein, über einen längeren Zeitraum ist dies allerdings uninteressant. Die meisten Arbeitnehmer wollen sich entwickeln und ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. Ist dies nicht der Fall, können Boreout Symptome wie Müdigkeit, Gereiztheit, Lustlosigkeit oder Introvertiertheit entste-
hen und in weiterer Folge Depressionen. Der Job hat Auswirkungen auf das Selbstbild, ein langweiliger Beruf fördert daher das Gefühl von Minderwertigkeit und Unfähigkeit. So viele Wege es
ins Boreout gibt, so wenige scheint es laut Rothlin und Werder heraus zu geben. Die Autoren appellieren vorrangig an die Eigenverantwortung und Eigeninitiative des Einzelnen. Man kann nur hoffen, dass dem Arbeitnehmer nach soviel Langeweile dafür noch genug Schwung und Energie zur Verfügung stehen und der Weg zu einer hilfreichen Psychotherapie gefunden wird.