Wer sich schämt, schießt schöne Tore.

Kein Mensch ist frei von Scham. Das Gefühl zählt zu den Basisemotionen, das sind jene Gefühle, die in der menschlichen Psyche in allen Kulturen gleichermaßen anzutreffen sind. Bei manchen bemerkt man das Schamgefühl kaum, sie wehren es schnell mit Arroganz, Narzissmus, Aggression, Beschämen des Gegenübers oder emotionaler Erstarrung ab. Andere suchen ihr Glück im Perfektionismus, nach der Devise: Wenn mir kein Fehler passiert, muss ich mich vor niemandem schämen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern auch unmöglich.

Scham braucht ein Gegenüber. Gut zu beobachten ist das bei Kleinkindern im ersten bis zweiten Lebensjahr. Sie verstecken sich als Reaktion auf die verspürte Scham vor den Blicken des Betrachters schutzsuchend hinter dem Bein des Elternteils oder schlagen ihre Hände vor die Augen. Eine empathische Bezugsperson erkennt das meistens und beruhigt das Kind. Das ist notwendig, denn die messbaren physiologischen Reaktionen ähneln bei Schamgefühlen zugefügten körperlichen Schmerzen, so die Wissenschaft.

Ein anderes Beispiel von Schamhaftigkeit findet man im Buch „Der kleine Prinz“ von de Saint-Exupery Antoine. Als der Prinz auf einen Säufer trifft, fragt er ihn, was er hier mache. Der Säufer antwortet, er saufe, weil er vergessen wolle, dass er sich schäme, weil er saufe. Neben dem oben angeführten Narzissmus ist der eben beschriebene Substanzmissbrauch ein weiterer dysfunktionaler Lösungsversuch und ein letztlich selbstschädigender Abwehrmechanismus des unangenehmen Schamgefühls.

Die narzisstische Antwort von Diego Maradona auf die Frage, womit er das 1:0 gegen England bei der WM 1986 erzielt habe, ist wohlbekannt. Es sei die Hand Gottes im Spiel gewesen. Hätte sich ein kindlicher Anteil, sprich der kleine Diego, nicht für seinen Schwindel auch geschämt, wäre sein Tor zum 2:0 in demselben Spiel nicht möglich gewesen. Scham bewirkt eine Selbstwertverletzung. Um den angeknacksten Selbstwert wieder aufzurichten, veranstaltete Maradona jenen Schaulauf, der in der eigenen Hälfte begann und mit dem wohl schönsten Treffer aller Zeiten endete.

Schamgefühl ist also nicht nur für das menschliche Zusammenleben wichtig, sondern auch für schöne Tore. Wer die Scham verliert, wird sozial unverträglich. Sie hilft dabei, die Distanz zum anderen einzuhalten und dessen Intimität zu achten. Ein schamloser Mensch kommt einem ständig zu nahe.