Wer nach einem Bombenanschlag ein Spiel ansetzt, hat wirklich keine Ahnung. „We care about football“ lautet der Slogan der UEFA. Das ist lächerlich.
Einige Tage nach dem Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB am 11. April waren vermehrt Stimmen zu vernehmen, die sagten: „Die Spieler müssen die Bilder so schnell wie möglich aus ihren Köpfen bekommen.“ Richtigerweise wurden Experten engagiert, die dabei helfen sollen. Eine klare Fehlentscheidung war jedoch der Beschluss der UEFA, das Viertelfinalspiel am Tag nach dem Bombenattentat neu anzusetzen. Unfassbar. Unerklärlich. Die Gründe dafür dürften – wie die Gründe, die hinter dem Anschlag steckten – etwas mit Geld zu tun haben.
STABILITÄT UND RUHE
Als Psychiater hat man einen anderen Zugang. Zunächst und in erster Linie hätte es darum gehen müssen, für die Betroffenen ein sicheres inneres und äußeres Umfeld herzustellen. Ihnen müssen in einer solchen Situation stabile Menschen zur Seite gestellt werden, die Ruhe und Sicherheit ausstrahlen und nicht selbst mitweinen. Das können Freunde, Familienangehörige oder professionelle Helfer sein. Betroffene eines Anschlags müssen auch Sachinformationen über mögliche auftretende psychiatrische Symptome erhalten, damit sie darauf vorbereitet sind und diese als normale Reaktion verstehen können. Typische Anzeichen können Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, depressive Verstimmungen, Ängste, Wut, Ärger und Feindseligkeit sein. Typischerweise zeigen sich die Auswirkungen in wechselnder und
gemischter Form. Meist beginnend mit einer Art Betäubung, eingeschränkter Aufmerksamkeit, sozialem Rückzug, starker Trauer, Desorientierung bis hin zu einer unangemessenen und sinnlosen Überaktivität. Besonders in den ersten Stunden bis etwa zwei Tage nach einem traumatischen Ereignis ist mit solchen Symptomen zu rechnen. Daher hätte das Spiel nie und nimmer in diesem Zeitfenster stattfinden dürfen. Ruhe und Abschirmen von der Öffentlichkeit wären angesagt gewesen.
TRAUMA UND FOLGEN
Im Fall des Dortmunder Anschlags kann man von einem Trauma sprechen. Ein Trauma ist definitionsgemäß ein äußerliches Ereignis mit lebensbedrohlicher Gefährdung der Person. Jedes Trauma führt zu einer Erschütterung des Beteiligten und hat unmittelbare Auswirkungen auf die psychische und körperliche Befindlichkeit. Aber nicht auf jedes Trauma muss eine längerfristige
Traumastörung folgen. Die individuelle Verletzlichkeit und die zur Verfügung stehenden Bewältigungsmechanismen bestimmen mit, ob und in welcher Schwere Symptome auftreten. Nicht jeder Mensch, der einen Anschlag miterlebt hat, benötigt therapeutische Hilfe, aber jeder Betroffene muss die Möglichkeit haben, solche Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Das dürfte in Dortmund geschehen sein. Von außen betrachtet hat man den Eindruck, dass den Betroffenen professionelle Hilfe zur Verfügung stand. Aber hätte man sich gegen den neuen Spieltermin der UEFA nicht stärker wehren müssen? Ja, hätte man. Freilich geht es nach ausreichender psychischer Stabilisierung darum, wieder zur Normalität zurückfinden. Zu behaupten, die UEFA wollte das mit dem Spieltermin am Tag nach dem Anschlag bezwecken, ist zynisch.
Dieser Artikel ist im Fußballmagazin ballesterer erschienen.